Geran rieb sich mit den Fingern über die müden Augen. Der lange Arbeitstag hatte seine Spuren bei dem Leutnant der Drachengarde hinterlassen. Der Frühsommer hatte Einzug in Drachenbrück gehalten und es war zu heiß für die Jahreszeit. Unter dem Kettenhemd klebte ihm das gepolsterte Wams am Leib und seine Kopfhaut juckte unter dem schweren Eisenhut. Dennoch, ein Leutnant musste ein Vorbild sein und so vermied es Geran den Helm abzunehmen, so sehr er es auch gerne getan hätte. Als Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers hatte er es eh schwer bei den Männern und Frauen, die ihm wenig zutrauten.
Der junge Mann seufzte und rückte die Papiere vor sich auf dem kleinen Schreibtisch zu Recht, der hier in der Wachstube am Hafen sein Refugium war. Ehrenvolle Arbeit, mit Papier und Feder gegen die Verfemten, dachte er frustriert. Dann winkte er den Gardisten heran, der geduldig einige Schritt entfernt gewartet hatte.
„Meldung, Gardist“, brummte Geran und griff nach dem Federkiel.
„Baldur Grünbaum, Leutnant. Dreizehnte Schwinge. Flusspatrouille mit der halben Schwinge, Richtung Süden und bis zum Westufer.“
Gleichmäßig kratzte die Feder über das weiße Blatt.
„Besondere Vorkommnisse, Gardist?“ Der Leutnant konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. Seit dem Tod der Razash´Dai war die Drachengarde verstärkt in der Feuermark unterwegs, sowohl vom Fluss her als auch von Land. Die Patrouillen machten Sinn, doch brachten sie selten bemerkenswerte Ereignisse mit sich.
„Eigentlich nicht, Leutnant.“
Geran’s Hand stockte beim Schreiben. Er schaute hoch.
„Eigentlich? Was soll das heißen, Gardist? Was ist das für eine Meldung?“, fragte er streng. Der Mann wand sich unter dem Blick des Offiziers.
„Nun … die Fahrt verlief weitgehend ereignislos, Leutnant. Wir haben zwei Flussboote kontrolliert, einen Händler aus Schönweiler und einen Fischer aus Zackenberg, den wir wieder nach Norden geschickt haben. Sagte die Strömung habe ihn abgetrieben. Das Westufer war weitgehend verlassen, bis auf … diesen Mann“, sagte der Gardist und verstummte.
„Mann? Was für ein Mann?“, hakte Geran nach.
„Ein Wanderer. Allerdings war der Mann … nun … er war merkwürdig, Leutnant. Wir haben ihn gerufen und sind mit dem Boot direkt herangefahren. Direkt in das Uferschilf. Er blieb auch stehen und so, nur … er wirkte irgendwie zerlumpt. Und … düster.“
Der Leutnant seufzte. „Der Mann war also zerlumpt und DÜSTER, ja? Düster? Was soll das heißen, Gardist? Soll ich das in den Bericht an den Hauptmann schreiben? Oder an den Baron?“
„Ich kann es nicht besser beschreiben, Leutnant. Er war mir etwas unheimlich. Als wäre irgendetwas falsch mit ihm. Hatte die ganze Zeit seine Kapuze auf, so dass man sein Gesicht kaum sehen konnte. Als ich ihm sagte, er solle sie abnehmen und was denn sein Name sei, da hat er geantwortet, dass sein Name nur ein Schatten sei und er auch. Ein Schatten. Mehr nicht.“ Wieder verstummte der Gardist. Er schien nicht zu wissen, wie er fortfahren sollte.
„Baldur Grünbaum, als Gardist der Drachengarde erwarte ich Mut und Aufrichtigkeit. Dieser Mann sagte also, dass er ein SCHATTEN sei. Soll ich DAS wirklich in den Bericht schreiben? Diese Worte?“
„So ist es gewesen, Leutnant. So wahr ich hier stehe.“
Wieder seufzte Geran aus tiefstem Herzen. Dann schrieb er einige Zeilen, bevor er wieder aufblickte.
„Und was geschah dann?“
„Wir … wir ließen ihn gehen, Leutnant. Der Mann, er hatte so eine Art zu reden. Als wäre er es gewohnt, dass man ihm gehorcht. Es … es kam uns ganz normal vor, dass zu tun, was er sagte.“ Die Stimme des Gardisten war immer leiser geworden.
Eine Weile schaute der Leutnant seinen Untergebenen an. Dann fuhr er sich zum zweiten Mal in kurzer Zeit über die Augen und tauchte den Federkiel in das Tintenfass.
„Ich werde es genau so aufschreiben, wir ihr es mir berichtet habt, Gardist Grünbaum. Genau so. Sollen der Hauptmann oder der Baron daraus machen was sie wollen. Aber ich denke, sie werden nicht besonders erfreut sein. NICHT erfreut. Wegtreten!“
Während der Soldat erleichtert das Weite suchte, machte sich Geran daran, den Bericht zu vollenden.
„Die Geschichte glaubt mir doch niemand“, murmelte er und schüttelte traurig den Kopf.
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Geran rubbed his fingers over his tired eyes. A long day's work had left its mark on the lieutenant of the Dragon Guard. Early summer had arrived in Drachenbrück and it was too hot for the season. His padded doublet stuck to his body under his chainmail and his scalp itched under the heavy kettle hat. Still, a lieutenant had to set an example and so Geran avoided taking off his helmet, much as he would have liked to. As the son of a wealthy cloth merchant, he had a hard time anyway with the men and women who thought little of him.
The young man sighed and adjusted the papers in front of him on the small desk, that was his refuge here in the guardroom at the harbour. Honourable work, with paper and pen against the outcasts, he thought darkly. Then he beckoned to the guardsman who had been waiting patiently a few paces away.
"Report, guardsman," Geran grumbled, reaching for the quill.
"Baldur Grünbaum, lieutenant. Thirteenth Wing. River patrol with half the Wing, south and up to the west bank."
Evenly the pen scratched across the white sheet.
"Any special incidents, Guardsman?" The lieutenant could only stifle a yawn with difficulty. Since the death of the Razash'Dai, the Dragon Guard had been stepping up their patrols of the Fire March, both on the river and on land. The patrols made sense, but they rarely brought remarkable events.
"Not really, Lieutenant."
Geran's hand faltered as he wrote. He looked up.
"Not really? What do you mean, guardsman? What kind of report is that?" he asked sternly. The man squirmed under the officer's gaze.
"Well ... the trip was largely uneventful, Lieutenant. We checked two river boats, a trader from Schönweiler and a fisherman from Zackenberg, whom we sent back north. He said the current had drawn him too far south. The west bank was largely deserted, except for ... this man," the guardsman said and fell silent.
"Man? What kind of man?", Geran inquired.
"A wanderer. However, the man was ... well ... he was strange, Lieutenant. We called him out and came right up with the boat. Right into the shore reeds. He stopped and waited for us, only ... he seemed kind of ragged. And ... gloomy."
The lieutenant sighed. "So, the man was ragged and GLOOMY, yes? Gloomy? What do you mean, guardsman? Shall I put that in the report to the captain? Or to the Baron?"
"I can't describe it any better than that, Lieutenant. He spooked me a little. Like there was something wrong with him. Had his hood up all the time so you could hardly see his face. When I told him to take it off and asked what his name was, he replied that his name was just a shadow and so was he. A shadow. Nothing more." Again, the guardsman fell silent. He did not seem to know how to continue.
"Baldur Grünbaum, as a guardsman of the Dragon Guard, I expect courage and honesty. So, this man said he was a SHADOW. Do you really want me to put THAT in the report? Those words?"
"That's what happened, Lieutenant. As I stand here."
Again, Geran sighed from the bottom of his heart. Then he wrote a few lines before looking up again.
"And what happened then?"
"We ... we let him go, Lieutenant. The man, he had such a way of talking. Like he was used to being obeyed. It ... it seemed normal to us to do what he said." The guardsman's voice had become quieter and quieter.
For a while the lieutenant looked at his subordinate. Then he rubbed his eyes for the second time in a short while and dipped the quill into the inkwell.
"I will write it down exactly as you reported it to me, Guardsman Grünbaum. Exactly like this. Let the captain or the Baron make of it what they will. But I don't think they'll be very pleased. NOT pleased at all. Dismissed!" While the soldier looked relieved to leave, Geran set about completing the report.
"Nobody will believe that story," he muttered, shaking his head sadly.